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Die Prachtstraße Kreschtschatik in Kiew.

Politik im Trippelschritt

Auf Anregung Polens brachte die EU vor zwei Jahren die Östliche Partnerschaft mit mehreren Ländern der ehemaligen UdSSR auf den Weg. Jetzt, wo Warschau gerade den EU-Ratsvorsitz angetreten hat, ziehen die Experten eine enttäuschende Bilanz.

Veröffentlicht am 11 Juli 2011 um 16:21
Die Prachtstraße Kreschtschatik in Kiew.

Kommentare wie „Nichts als leere Worte. Wann gibt es konkrete Ergebnisse?“, häufen sich auf der dem Ereignis gewidmeten Facebook-Seite. „Ist die Östliche Partnerschaft, dieses von Polen initiierte Vorzeigeprojekt, wirklich nur eine Farce?“ Zwei Berichte versuchen die Auswirkungen der Partnerschaft zu bewerten. Der erste, vom Europäischen Rat für Auslandsbeziehungen (European Council on Foreign Relations, ECFR) verfasste Bericht, hält fest, dass die Europäische Union im postsowjetischen Raum nie so präsent war wie heute. Trotzdem gelingt es ihr nicht, die Politik Armeniens, Aserbaidschans, Weißrusslands, Georgiens, der Republik Moldau oder der Ukraine zu beeinflussen.

Weil die EU an der Demokratieförderung in diesen Ländern scheitert, schafft sie es nicht, ihre wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. Nicu Popescu und Andrew Wilson, die Autoren des Berichts, weisen vor allem auf die zunehmend autoritären Tendenzen in allen an der Partnerschaft beteiligten Ländern hin – mit Ausnahme Moldaus. Weißrussland, Armenien und Aserbaidschan erfüllen keine einzige demokratische Norm. Und auch wenn die Ukraine und Georgien gewiss demokratischer sind, sind sie noch weit von westlichen Demokratiestandards entfernt.

Elite gibt Putins Modell den Vorrang

Wenn die Demokratisierungsprozesse in Osteuropa scheitern, droht ein mit Nordafrika und dem Mittleren Osten vergleichbarer revolutionärer Flächenbrand, meinen Popescu und Wilson. Die Auswirkungen eines solchen Szenarios sind absehbar: Ein Andrang illegaler Einwanderer, Ausgaben zur Stabilisierung der Konflikte und für Friedensmissionen, sowie Vermittler, Beobachter, usw. Es sollte also im Interesse der EU sein, sich unverzüglich im Osten ans Werk zu machen.

[Den zweiten Bericht](http://Führungsriege angeht, so gibt sie sowieso Putins Modell den Vorrang) zur Östlichen Partnerschaft verfassten die Experten des Warschauer Instituts für öffentliche Angelegenheiten (ISP). „Nach zwei Jahren Partnerschaft“ zieht eine der Autoren, Elzbieta Kaca, „eine negative Bilanz: Das für kommenden Herbst in Warschau angesetzte Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft könnte allerdings alles ändern. Ein Erfolg würde die Führungsposition Polens in der EU-Ostpolitik stärken, eine Niederlage zur Marginalisierung der Partnerschaft führen.“

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Dieses von den polnischen Diplomaten eindringlich wiederholte Argument klingt ein bisschen nach Zauberformel. Wie kann man nur daran glauben, dass ein Gipfel der Regierenden von sechs postsowjetischen Ländern und der EU allein irgendetwas ausrichten kann? Damit sich die Partnerschaft entwickelt, müssen vor allem die Bewohner der betroffenen Länder an einem Bündnis mit Europa interessiert sein. Was die Führungsriege angeht, so gibt sie sowieso Putins Modell den Vorrang, nicht dem Europas.

Was die Partnerschaft wirklich leisten muss: Die Union in Ländern wie Armenien, Aserbaidschan und Weißrussland bekannt machen und deren Machthaber dazu zu ermutigen, sich für das europäische Modell zu entscheiden. Dafür braucht es aber nicht zwei Jahre, sondern vielmehr zwei Jahrzehnte.

In Georgien, Moldau und der Ukraine scheint die Umsetzung des europäischen Modells einfacher. Wie ihre Eliten – zumindest offiziell – sind die dortigen Bevölkerungen Europa gegenüber offener eingestellt. In diesen drei Ländern geht es in erster Linie darum, die offiziell gemachten Versprechen in Taten umzuwandeln.

Abkommen zur vereinfachten Visaausstellung schleppt sich voran

Nach Meinung der Autoren des ISP könnte ein baldiges Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine der Schlüssel zum Erfolg sein. Damit platziere sich das Land in der wirtschaftlichen Umlaufbahn der Gemeinschaft und folge ihren gemeinsamen Handelsregeln und Zolltarifen. Mit der Unterzeichnung eines solchen Abkommens würde die Ukraine einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur europäischen Integration zurücklegen.

Ein derartiger Vertrag könnte während der polnischen EU-Ratspräsidentschaft initiiert werden. Jedoch könnte die Ukraine sich auch auf eine Freihandelszone mit Weißrussland, Kasachstan und Russland einigen, was jede wirtschaftliche Annäherung mit Brüssel gefährden würde. Wie sich Kiew entscheiden wird, ist immer weniger absehbar, zumal Moskau immer mehr Druck ausübt.

Im Bericht ist von vereinfachten Visa-Prozeduren die Rede. Das sei das beste Mittel, um die Länder der Partnerschaft für einen pro-europäischen Kurs zu gewinnen. Auch diesbezüglich hat die Ukraine mit ihrem Zwei-Stufen-Programm zur Visafreiheit die größten Fortschritte gemacht. Zur Verzweiflung der Ukrainer ist im gegenwärtigen Abkommen zur vereinfachten Visaausstellung allerdings kein konkretes Datum enthalten, an dem der Prozess beendet sein muss. Moldawien würde gern ein ähnliches Programm aushandeln, um sich von der Visapflicht zu befreien. Gleiches gilt auch für Georgien, das mit der Union bisher nur ein simples Abkommen zur vereinfachten Visaausstellung geschlossen hat. Auf kurze Sicht können die anderen Länder kaum mehr erhoffen als das pure Versprechen einer zukünftigen Visabefreiung.

Darüberhinaus ist der Erfolg der Partnerschaft auch von großen Modernisierungsprojekten der betroffenen Länder abhängig, beispielsweise der Modernisierung der Stromnetze. Oft fehlt es der Partnerschaft aber an finanziellen Mitteln, um die Projekte umzusetzen. Viel zu oft aber werden sie einfach zu den Akten gelegt.

Entscheidend ist also, dass die Partnerschaft über mehr finanzielle Mittel verfügt. Dabei kommt nicht nur die EU in Frage, sondern auch andere Institutionen wie die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung oder Geldgeber außerhalb der EU, wie den USA, Japan, Norwegen oder der Schweiz. Die zusätzlichen Finanzierungen könnten bei der Umsetzung des hauptsächlichen Projekts behilflich sein, das – vollständig aus eigenen Mittel finanziert – der Partnerschaft zu mehr Sichtbarkeit verhelfen könnte.

Momentan fehlt es diesem Vorzeigeprojekt genau daran. Auch wenn überschwänglicher Optimismus und übertriebene Siegessicherheit alles andere als angebracht sind, so ist die Behauptung, man habe die Partnerschaft bereits zu Grabe getragen, noch bevor sie das Licht der Welt erblickte, maßlos übertrieben. (jh)

Standpunkt

Schluss mit der Zweideutigkeit

Die osteuropäischen Länder scheinen es mit dem EU-Beitritt nicht besonders eilig zu haben. Für die polnische Wochenzeitschrift Tygodnik Powszechny gibt es dafür zwei Gründe: Zunächst einmal „sind die politischen und wirtschaftlichen Eliten der Partnerländer auch weiterhin davon überzeugt, sie können ein westliches Leben führen, gleichzeitig aber nach orientalischem Stil handeln und regieren”. Momentan gelingt ihnen das in der Tat sehr gut. Zweitens will das alte Europa „hinter seiner Ostgrenze vermutlich nicht viel mehr als ein Mindestmaß an Stabilität und freie Hand für die Erweiterung seiner Unternehmen”.

Polen darf also nicht damit rechnen, dass sich während seiner EU-Ratspräsidentschaft daran irgendetwas ändern wird. Vor allem sollte es seine Partner dazu bringen, Osteuropa wirklich ernst zu nehmen und das gewöhnliche „wir tun so, als wollen wir Euch in der Union haben, und Ihr, Ihr gebt vor, beitreten zu wollen” zu überwinden. „Die Union und die Länder der Partnerschaft müssen ehrlich sagen, was sie wollen”, fordert Tygodnik Powszechny. „Will Brüssel einfach nur eine Stabilitätszone hinter seiner Ostgrenze? Betrachtet es die Assoziierungsabkommen als letzte Stufe seiner Nachbarschaftspolitik oder als den Beginn des großen europäischen Abenteuers?”

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