Zeit zur Selbstbeobachtung. Bild © Veliano_2/Flickr

Selbst schuld!

Unter Aufsicht der EU-Inspektoren, die sich derzeit im Land aufhalten, legt die griechische Regierung ein drastisches soziales und wirtschaftliches Sparprogramm vor. Diese gesamtgesellschaftliche Umwälzung kann nur nützlich sein, meint der Wirtschaftsexperte Giorgos Pagoulatos.

Veröffentlicht am 24 Februar 2010 um 16:25
Zeit zur Selbstbeobachtung. Bild © Veliano_2/Flickr

Im Grunde sind wir eine erzkonservative Gesellschaft, selbst wenn wir mehrheitlich Mitte-Links wählen. Wir verschanzen uns automatisch hinter unseren sozialen "Errungenschaften", ohne uns die Frage zu stellen, wie sie zustande gekommen sind. Wir verteidigen das Ungerechte als sei es gerecht. Als wären es "heilige Kühe" legitimieren wir bestimmte Beihilfen (wie Prämien auf Beamtengehälter) oder haarsträubende Dienstleistungen, die gewisse Möchtegern-Minister ihrem Personal versprechen, um sich so deren Mitarbeit zu "erkaufen". Trotz unseres Konservatismus, sind wir immer bereit, vor Gericht zu ziehen oder zu protestieren. Verhandlungen bedeuten für uns Unterwerfung und Kompromisse sind eine Schande. Wir schaffen es nicht, uns zusammenzureißen und reformieren selten.

Das Wort "Recht" dominiert unser Vokabular und als erstes wenden wir uns an Vater Staat. Doch ist der "Rechtsstaat" für uns ein fremdes, fast unbekanntes Konzept. Reden wir vom Staat, meinen wir gewöhnlich Vetternwirtschaft. Unsere Gewerkschaften, im Namen des Rechts, verteidigen leidenschaftlich Privilegien, die sich weder auf reale Kompetenzen noch auf Produktivität beziehen. Und noch weniger auf die realen Möglichkeiten unserer Wirtschaft.

Bruch des ungeschriebenen Sozialpakts

Im Laufe der Zeit hat sich unser System auf einen ungeschriebenen Sozialpakt eingependelt: Die Massen tolerieren die Korruption einiger weniger hoher Politiker, und die einigen Wenigen, drücken bei der kleinen Korruption der Massen ein Auge zu. Diese von oben, von der Staatsführung aus unterstützte Regel diente als Entschuldigung für den Laxismus der Basis, der Unordnung in der Gesellschaft verursacht und die urbanen Eliten auf einem zahlenmäßig geringen Niveau beließ. Ein Sozialvertrag, der auf gegenseitiger Toleranz beruht... und auf gegenseitiger Komplizenschaft. Heute ist dieser Vertrag gebrochen. Das Geld, um ihn zu finanzieren, ist ausgegangen.

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Unser Konservatismus greift überall. Die Minister haben einen Haushalt erarbeitet, der sich an den vorangegangenen orientiert, mit überzogenen Zahlen, wo immer möglich. Sie verlangen keine Fonds für spezifische und genau bezifferte Maßnahmen, wie man es in jedem seriösen Land macht. Sie verlangen zuerst ein Budget und ergreifen ihre Maßnahmen im Nachhinein. Das ist der Grund, warum die neue [im Oktober 2009 gewählte] Regierung sich schockiert zeigte, als sie die Erblast entdecken musste, die ihr die Vorgänger hinterlassen haben: Geld wurde verprasst zugunsten von Freunden, Wählerklientel oder Wahlkreisen.

Diese Krise ist selbstverschuldet

Wir kritisieren mit Leidenschaft, vertragen aber keine Kritik. Wir schieben immer schnell die Schuld auf andere, selbst wenn es um unsere eigene Rettung geht. Schimpft wegen unserer wirtschaftlichen Situation nicht auf Europa! Auch der Markt trägt keine Schuld, an dem, was uns passiert. Ja, die internationale Wirtschaftskrise spielt eine gewichtige Rolle. Und in ihrem Fahrwasser die Gier der Investment-Banker, der Spekulanten und der Egoismus der Eliten. Doch unsere Krise ist eine andere, selbst wenn die Geier der internationalen Finanzmärkte über Athen kreisen. Die griechische Krise wurde weder von den Märkten noch von Europa geschaffen, auch wenn sie in Europa Unbehagen hervorruft.

Wir haben uns das selbst eingebrockt. Ein Produkt unseres politischen Systems, unserer Gewerkschaften, der Schmarotzer unter den Managern, der Klientelwirtschaft und der Korruption. Und des Kindheitstraums eines jeden Durchschnittsgriechen: Luxusschlitten, das neueste Handy, im Winter Skiurlaub in hippen Stationen, im Sommer Mykonos, und alles bei nur 20.000 versteuerten Euro pro Jahr. Ein bei aller Willfährigkeit unerreichbarer Traum in unserer Gesellschaft.

Mit der Krise sind wir in Teufels Küche gekommen. Sie offenbart unsere Halluzinationen und bringt die grausame Wirklichkeit hinter der Fassade ans Licht. Sie konfrontiert uns mit unserer eigenen Verantwortung. Wenn Sie meinen, dass nichts Schlimmes passiert sei, dann werden wir im nächsten Sturm untergehen. Doch nehmen wir das Heft in die Hand und bringen gemeinsam Opfer, können wir die katastrophale Situation umkrempeln, und ein neuer Optimismus wird aufblühen.

Empörung in Griechenland

Die Deutschen haben keine Lektionen zu erteilen

"Jene, die Europa verwüstet haben, wagen es zu meckern? Da hört doch alles auf!", empört sich der Journalist Konstantin Roumeliotis in [Eleftherotypia](http://www.enet.gr/) über die Reserven Deutschlands einem europäischen Rettungsplan für Griechenland zuzustimmen. "Während des Zweiten Weltkriegs haben sie Griechenland geplündert, und jetzt zeigt eine Venus von Milo auf dem Titelblatt eines auflagenstarken Nachrichtenmagazins [Focus] den Griechen den Stinkefinger? Das ist nicht nur schlechter Geschmack, sondern völlig fehl am Platz. 70 Milliarden Euro haben die Deutschen den Griechen gestohlen, ohne sie je zurückzuzahlen. Und jetzt, da wir ein Problem haben, weigern sie sich zu helfen, obwohl deutsche Investitionen hier florieren? Frau Merkel, seien Sie seriös! Vergessen Sie ihre Vergangenheit nicht. Jetzt ist keine Zeit, große Töne zu spucken!"

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