Die Opposition demonstriert in Minsk, 19. Dezember 2010

Lukaschenko abseilen, nicht sein Volk

Der weißrussische Präsident tritt seine vierte Amtszeit an nach dem, was wie eine weitere manipulierte Wahl aussieht. Nichtsdestotrotz sollte der Westen seinem Nachbarn im Osten nicht den Rücken kehren, so die Rzeczpospolita.

Veröffentlicht am 20 Dezember 2010 um 16:46
Die Opposition demonstriert in Minsk, 19. Dezember 2010

Und wieder einmal ist eine weißrussische Präsidentschaftswahl zum Problem für den Westen geworden. Der von der Polizei zusammengeschlagene Rivale des Amtsinhabers, die mit Knüppeln verprügelten regierungsfeindlichen Demonstranten, die verhafteten Oppositionsführer – all das ermutigt kaum zur Öffnung auf Lukaschenkos Weißrussland. Es sieht vielmehr nach einer Rückkehr der düsteren alten Zeiten aus, als Alexander Lukaschenko noch der „letzte Diktator Europas“ genannt wurde.

Die Ergebnisse der Wahlen vom letzten Sonnntag (79,67 Prozent für den Amtsinhaber) werden in Minsk in Frage gestellt, wo Quellen der Opposition der Meinung sind, dass Lukaschenkos Resultat nur halb so hoch ist wie die von der Regierung in Auftrag gegebenen Befragungen am Wahltag. Wie sollen wir also auf die offiziellen Ergebnisse reagieren? Sollen wir wieder Sanktionen gegen das weißrussische Regime einführen, seinen Beamten wieder den Besuch des Westens verbieten, Lukaschenko von den Skipisten in den Alpen und den Zusammenkünften mit Berlusconi abtrennen? Die zu empfehlende Reaktion auf die Prügel für Oppositionskandidat Wladimir Nekljajew ist dagegen deutlich einfacher – scharfe Kritik und Empörung.

Wir sollten jedoch keine hastigen, emotional begründeten Entscheidungen treffen. Ich will nicht sagen, dass wir so tun sollten, als sei nichts passiert. Es ist sehr viel passiert und wir sollten das auch lautstark ausdrücken. Es müssen Erklärungen verlangt werden für die Stimmenauszählung und die polizeilichen Angriffe auf die Oppositionsführer.

Weißrussland ist für niemanden ein einfacher Partner

Der Westen darf jedoch nicht zwischen Sanktionen und Versprechungen hin und her schwanken, das Regime an einem Tag mit der Peitsche bedrohen und ihm am nächsten mit dem Zuckerbrot winken. Erwarteten diejenigen, die vor den Wahlen das Zuckerbrot austeilten, tatsächlich, dass die demokratischen Standards befolgt würden? Erwarteten sie etwa, dass sich die Mentalität der Beamte in den Wahlbüros über Nacht änderte?

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Weißrussland ist nicht das einzige Land östlich der EU, in welchem die Wahlergebnisse gelinde gesagt fragwürdig sind. Und der Westen hat nichts daran auszusetzen, mit den anderen Spitzenpolitikern aus der Region Besprechungen abzuhalten und Geschäfte zu machen. Es gibt da im Osten der EU ein Land namens Russland, in dem die Polizei eine 82-jährige Frau angreift und dies nicht im geringsten seine Beziehungen zum Westen beeinträchtigt.

Lukaschenko hat viele Sünden auf dem Gewissen und eines Tages wird er wahrscheinlich durch sein eigenes Volk zur Rechenschaft gezogen werden. Doch unter seiner Herrschaft hat Weißrussland seine Staatshoheit gefestigt. Es ist kein einfacher Partner, für niemanden. Und das wird sich auch nicht ändern.

Der Westen sollte ernsthaft überlegen, ob er Lukaschenko den Rücken kehren will. Und er sollte ganz bestimmt nicht den Weißrussen den Rücken kehren. Weißrussland ist für die westliche Welt noch nicht unwiderruflich verloren. (pl-m)

Aus Moskau

Danke an Europa und Russland

„Seinen ersten Sieg errang Alexander Lukaschenko im Bereich der Außenpolitik“, stellt Gazeta.ru fest. „Noch vor drei oder vier Monaten hätte er kaum so viel erwarten können“: „Der Westen verlangte eine Liberalisierung seiner Innenpolitik und Russland unterhöhlte die Wirtschaft“. Doch „es ging kein Hagel von Drohungen auf Weißrussland nieder, statt dessen wurde es intensiv umworben“, erklärt die russische Online-Zeitung. „Europäische Verantwortliche reisten mit Kooperationsangeboten nach Minsk, dann nahm Russland seine steuerfreien Öllieferungen wieder auf und Weißrussland schloss im Gegenzug ein Abkommen über die Bildung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums ab. Auf europäischer Seite war von einer finanziellen Unterstützung in Höhe von drei Milliarden Euro die Rede, auf russischer Seite wurden die Kosten der Maßnahme auf zwei Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt.“

„Lukaschenko hat gezeigt, dass er in der Lage war, sein Land Europa anzunähern, was wiederum den Kreml zu Mitteln zwang, seinen ‚strategischen Verbündeten’ wieder zurückzugewinnen“, wie Gazeta.ru bemerkt. „Europas Situation ist viel einfacher. Es benötigt eher einen Vorgang als ein Ergebnis, was auch mit Lukaschenko als Staatschef möglich ist und sogar schon abläuft.“

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