Analyse Cas Mudde | Europa im Jahr 2024

Europas wichtigste Wahl des Jahres findet in den USA statt

2023 kehrten in Polen die Demokraten an die Macht zurück, und andere Länder erlebten den Aufstieg populistischer und rechtsextremer Parteien. Dieser Trend wird sich 2024 fortsetzen: Im Frühjahr findet die entscheidende Europawahl statt, und eine Rückkehr von Donald Trump in den Vereinigten Staaten, die möglicherweise schlimme Folgen für Europa haben könnte, ist nicht auszuschließen, beobachtet der Politikwissenschaftler Cas Mudde.

Veröffentlicht am 2 Januar 2024 um 14:50
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Die polnischen Wahlen haben uns letztendlich nur eine kurze Atempause verschafft. Ein paar Wochen lang feierten internationale Medien, wie Polengezeigt hat, wie man den Populismus besiegt“ – „Populismus“ ist der Lieblingseuphemismus für rechtsextrem in den zentristischen Medien. Aber die Politiker*innen in den Niederlanden hatten offensichtlich nichts daraus gelernt, denn sie schufen die perfekten Voraussetzungen für einen massiven Wahlsieg von Geert Wilders, nur einen Monat später. Und so beginnen wir nach einer kurzen Zeit der Hoffnung ein weiteres Jahr im Schatten der Rechtsextremen, die die Schlagzeilen beherrschen und die politische Agenda bestimmen.

Und doch war 2023 in vielerlei Hinsicht ein ganz normales Jahr in der europäischen Politik. Die Europäische Union (EU) konnte ihre pro-ukrainische Front weitgehend zusammenhalten, vor allem indem sie Andersdenkenden Ausnahmen von verschiedenen Maßnahmen (einschließlich Sanktionen) gewährte. Im Nahen Osten hat sie sich dagegen durch ihre widersprüchlichen und unorganisierten Reaktionen auf die brutalen Vergeltungsmaßnahmen Israels auf den grausamen Angriff der Hamas selbst noch irrelevanter gemacht. Vordergründig gab es einige (vermeintliche) Erfolge: Für Moldawien und die Ukraine wurde im Schnellverfahren beschlossen, EU-Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Des Weiteren wurde ein neuer „Wachstumsplan“ in Höhe von 6 Milliarden Euro verabschiedet, um den gestoppten Beitritt der westlichen Balkanländer zu beschleunigen.

In der nationalen Politik waren 2023 keine klaren Wahl- oder politischen Trends zu erkennen, und die meisten Länder schlugen sich mit unterschiedlichem Erfolg durch. Die Regierungen von Frankreich und Deutschland verloren weiter an Rückhalt in der Bevölkerung und sehen sich einer wachsenden Wahlherausforderung durch die extreme Rechte gegenüber. Die meisten anderen großen Länder konzentrieren sich ebenfalls überwiegend auf die Innenpolitik – die neue polnische Regierung wird es schwer haben, das Land von der bisherigen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit zu befreien, Giorgia Meloni versucht, ihre italienische Koalition zusammenzuhalten, während ein Großteil ihres Wirtschaftsprogramms aufgegeben oder aufgeweicht wurde, und Pedro Sánchez hat ein meisterhaftes politisches Comeback hingelegt. Seine neue und zerbrechliche Koalition wird jedoch unter dem hohen Preis zu leiden haben, den er dafür gezahlt hat, nämlich ein höchst umstrittenes und unpopuläres Amnestieabkommen.

In Ungarn ist der Dorn im Auge der EU, Viktor Orbán, in diesem Jahr noch stärker isoliert worden. Nachdem er das wichtige Veto seiner polnischen Verbündeten von Recht und Gerechtigkeit (PiS) verloren hat, wird er nun entweder von Meloni oder dem zurückgekehrten slowakischen Premierminister Robert Fico abhängig sein, um sich vor EU-Sanktionen zu schützen; beide haben jedoch sowohl weniger enge Kontakte als auch weniger Eigeninteresse daran, Ungarn aus der Patsche zu helfen. Daher wird es interessant sein zu sehen, wie Orbán die EU-Ratspräsidentschaft nutzen wird, die in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 auf Ungarn übergehen soll. Er könnte versuchen, den Beitritt der westlichen Balkanländer zu beschleunigen, was einige seiner Verbündeten in die EU bringen würde, wird aber wahrscheinlich hauptsächlich seine (Obstruktions-)Macht nutzen, um mehr EU-Gelder freizugeben und die EU-Kritik an seiner „autoritären Kleptokratie“ zu mildern.

Die EU geht also mit einem nach wie vor intakten, wenn auch zunehmend geflickten internen Zusammenhalt in dieses Superwahljahr, und ihr internationales Ansehen hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Ganz oben auf der Wahlagenda steht natürlich die Europawahl, die vom 6. bis 9. Juni in allen 27 Mitgliedsstaaten stattfindet. Da die Rechtsextremen die Medien und viele Umfragen dominieren und die Europäische Volkspartei (EVP) „nach rechts gerückt“ ist, können wir erwarten, dass das Europäische Parlament explizit rechter wird – nachdem die Wahlen 2019 bereits „die Mitte“ nach rechts verschoben haben.


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Die Umfrage Poll of Polls von POLITICO hat zwar gezeigt, dass sich die Sitzverteilung zwischen den verschiedenen Fraktionen im Europäischen Parlament im vergangenen Jahr kaum verändert hat – die Verschiebungen im Vergleich zu den Ergebnissen von 2019 sind nur geringfügig – aber diese Vorhersagen haben zwei Unzulänglichkeiten: Erstens wird eine beträchtliche Anzahl neuer Parteien in das Europäische Parlament einziehen, die noch nicht mit den bestehenden Fraktionen abgestimmt sind (derzeit schätzungsweise 41 von insgesamt 710 Sitzen).

Zweitens können sich die Anzahl und der Inhalt der verschiedenen Fraktionen noch ändern. Zum Beispiel gibt es Gerüchte, dass die EVP Meloni und ihre Partei Brüder Italiens (FdI) hofiert, während die Wahlprobleme des französischen Präsidenten

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