Presseschau Kritische Osten

In der Ukraine, Russland und Belarus wird der Sieg der polnischen Opposition begrüßt

Lesen Sie jeden Monat die Presseschau von Paulina Siegien zu aktuellen Ereignissen in Osteuropa und den baltischen Staaten, in Zusammenarbeit mit Display Europe und Krytyka Polityczna.

Veröffentlicht am 26 Oktober 2023 um 11:24

Lassen Sie mich mit den guten Nachrichten beginnen. Seit einigen Tagen erhalte ich viele Glückwunschschreiben von meinen ukrainischen, belarusischen und russischen Freund*innen. Einer der Gründe dafür ist der Sieg der Opposition in Polen. Meine Freund*innen in Osteuropa – vor allem die Russ*innen und Belarus*innen – bewundern eine solche Bürger*innenmobilisierung und die Tatsache, dass es möglich ist, durch Wahlen einen Machtwechsel herbeizuführen.

Es mag daher überraschen, dass die Stimmung in Polen nicht ganz so optimistisch ist. Als Anhänger*innen der Opposition haben wir uns wahrscheinlich emotional darauf vorbereitet, dass die konservative, populistische und euroskeptische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) den Wahlsieg davonträgt. Daher fällt es uns schwer, uns zu freuen; wir sind uns noch nicht der Veränderungen bewusst, die das Wahlergebnis mit sich bringt. Und doch sind angesichts des Ausmaßes der sozialen Mobilisierung, die sich in der Rekordwahlbeteiligung widerspiegelt, die Momente der Freude und Euphorie eindeutig verdient, wie Paulina Januszewska in Krytyka Polityczna schreibt. Grund zur Sorge gibt es jedoch genug, da die Machtübergabe noch nicht stattgefunden hat.

Niemand zweifelt an den guten Absichten des parteitreuen Präsidenten Duda, der dank seiner Vorrechte diese Übertragung noch gut zwei Monate hinauszögern kann, erklärt Onet. Auch die PiS ist nicht bereit, die Regierung aus der Hand zu geben, sie bündelt ihre Kräfte und wird bis zum Ende kämpfen, um an der Macht zu bleiben. Allerdings hat die Regierungsweise der Partei von Jarosław Kaczyński, die auf extremer Polarisierung und der Schaffung von Spaltungen beruht, dazu geführt, dass die PiS keine Koalitionsfähigkeit besitzt. So sollte Polen spätestens bis Weihnachten eine neue Regierung haben. Diese muss von drei politischen Kräften gebildet werden, von denen jede eine Koalition aus kleineren und teilweise sehr unterschiedlichen Einheiten darstellt. Die Wähler*innen der Linken – die bei den Wahlen das schlechteste Ergebnis erzielte (8,61 % der Stimmen) – sind besorgt, ob in den nächsten vier Jahren eine Reihe von progressiven politischen Maßnahmen eingeführt werden kann, da auch die konservative Polnische Bauernpartei (PSL) Teil der Regierung und ihrer parlamentarischen Mehrheit sein muss. Der Vorsitzende der PSL, Władysław Kosiniak-Kamysz, sagte, er werde den Gesetzentwurf, der es polnischen Frauen erlaubt, bis zur 12. Schwangerschaftswoche abzutreiben, nicht 

unterstützen. Unsere Zweifel an der neuen Regierung und ihrer Fähigkeit, Reformen einzuführen, sind daher berechtigt, wie OKO Press unterstreicht. Eines scheint jedoch sicher: Sollte die Opposition scheitern, wird ihr die polnische Gesellschaft nicht verzeihen.


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In der Ukraine sind die Reaktionen auf das Ergebnis der polnischen Wahlen ebenfalls positiv, wenn auch gemäßigter, wie Newsweek Polska hervorhebt. Ukrainische Progressist*innen freuen sich wahrscheinlich, vor allem diejenigen, die progressistische Freund*innen in Polen haben und die die Symptome des Autoritarismus in unserem Land genau verfolgten. Einige Medien, wie New Voice, machen keinen Hehl aus ihrer Sympathie für Donald Tusk und versprechen sich viel von seiner offensichtlich pro-ukrainischen Rhetorik. Obwohl in der Ukraine alle Beobachter*innen auf einen Neuanfang in den polnisch-ukrainischen Beziehungen hoffen – die in den letzten Monaten zu leiden hatten – sind sie überzeugt, dass diese guten Beziehungen zwischen Nachbarn gepflegt werden müssen, was ständige Anstrengungen erfordert, unabhängig davon, welche Regierung in Polen gerade an der Macht ist. Für die Ukraine stellen die polnischen Wahlen ein wichtiges Ereignis dar, da sie ihre internationale Position und ihre Verteidigungsfähigkeit beeinflussen, während die russische Aggression anhält und weiterhin jeden Tag Opfer fordert.

In einem langen Interview mit der unabhängigen russischen Exilzeitung Novaja Gazeta Europa distanziert sich die belarusische Oppositionsführerin Swjatlana Zichanouskaja unmissverständlich nicht nur von Russland und seinen Problemen, sondern auch von der russischen Opposition. Sie betont, dass die Belarus*innen im Gegensatz zu den meisten Russ*innen den Krieg gegen die Ukraine nicht unterstützen, dass unter den Russ*innen imperialistische Gefühle vorherrschen und dass Wladimir Putin im Gegensatz zu seinem belarusischen Amtskollegen Aljaksandr Lukaschenka eine Form von sozialer und elektoraler Legitimität genießt. Als der Journalist Ilja Azar sie nach der Zusammenarbeit zwischen der belarusischen und der russischen Opposition befragte, entgegnete Tichanowskaja, dass die Belarus*innen dies nicht nötig hätten. Einige Vertreter*innen und Anhänger*innen der russischen Opposition waren von Tichanowskajas Interview empört, andere gaben ihr jedoch Recht.

Belarus bleibt Belarus, es hat seine Probleme, seine Ziele und seine Ambitionen. Nach den Wahlen 2020 ist es der belarusischen Opposition gelungen, kohärent zu bleiben und viele Partner in der Welt von ihrem politischen Mandat und ihrem Recht, die Interessen von Belarus zu vertreten, zu überzeugen. Ihre Strategien sind perfekt organisiert, und trotz des Exils arbeitet sie in vielen Bereichen sehr effektiv. Vor diesem Hintergrund wird die russische Opposition zu einer amorphen Schöpfung, die sich aus einer Vielzahl unterschiedlicher Fraktionen und Milieus zusammensetzt, zwischen denen oftmals entweder Abneigung oder Konkurrenz herrscht. Und in Russland verwandelt sich die Oppositionspolitik in eine YouTube-Show, da die Persönlichkeiten mit den meisten Abonnenten als einflussreich gelten. Die regelmäßig von den verschiedenen Oppositionskräften veranstalteten Tagungen und Kongresse bringen nicht viel. Sie ändern nichts an der Situation der Exilruss*innen und noch weniger an der innenpolitischen Situation in Russland.

Und diese wird immer schlimmer, auch wenn man meinen könnte, dass es schlimmer nicht geht. Letzte Woche verhafteten die russischen Behörden drei der Anwälte des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny, denen wohl die Mitgliedschaft in einer extremistischen Organisation vorgeworfen werden dürfte. Laut Nawalnys Mitarbeiter*innen will das Regime mit der Verhaftung seiner Anwälte nicht nur Nawalny das Recht auf Verteidigung nehmen, sondern ihn vor allem von jeglichem Kontakt mit der Außenwelt abschneiden. Die Anwälte waren es nämlich, die Nawalny über die Situation jenseits der Gefängnismauern auf dem Laufenden hielten und seine Erklärungen und Manifeste übermittelten, die dann in seinen sozialen Netzwerken veröffentlicht wurden.


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lions au cours des 30 prochaines années, selon le Centre de Coordination Conjoints de l'UE (JCC).

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